Portrait
Rodolphe Baumann, 94, Architekt und Städtebauer ETHZ und Raumplaner im Kanton Bern, lebt an seinem Geburtsort la Neuveville im Berner Jura.
Rodolphe Baumann, 94, Architekt und Städtebauer ETHZ und Raumplaner im Kanton Bern, lebt an seinem Geburtsort la Neuveville im Berner Jura. Bild: zVg

Ein Leben für moderne Baukultur in Harmonie mit der Landschaft

Sein Werk zeigt, dass Beschränkung, sorgsam ausgesuchte Materialien, die Liebe zur Landschaft und der Region moderne Gebäude ermöglichten in denen die Menschen gerne leben. Einige stehen heute unter Denkmalschutz.

Rodolphe Baumann empfängt uns in seinem selbst gebauten, modernen Haus in La Neuveville. Schlicht, hell, Volumen und Materialien in einem ausgewogenen Spiel, wir fühlen uns sofort zu Hause auf dem Hügel über dem Bielersee. Der Gastgeber fragt umgehend, ob wir gerne einen Kaffee möchten, den er uns selbst zubereitet.

Der Architekt und Mensch

Für seine Freunde und seine Familie ist Rodolphe Baumann kurz und bündig «Rud». Er wird als Sohn eines Metzgers aus dem Jura in La Neuveville geboren. Als es zum Einstieg ins Gespräch darum geht, die Person besser kennenlernen zu dürfen, zieht er es vor seine Familie zu Wort kommen zu lassen. Zwei Plakate in Weltformat liegen auf dem Tisch, gestaltet zu seinem 90. Geburtstag mit dem Titel «Rud, die Architektur eines Lebens»: seine wichtigsten Bauwerke und persönliche, offene und berührende Worte von seiner Gefährtin Marianne, seit 67 Jahren an seiner Seite, von den Kindern, Enkeln und Nichten. Der Versuch einer kurzen Zusammenfassung der Worte und Bilder zu einer Persönlichkeit, die ihre eigene Art zu denken, zu leben und zu arbeiten entwickelt hat: Rodolphe ist ein diskreter Mensch mit offenem Geist und ruhiger Präsenz, wohlwollend und grosszügig im Grunde seines Wesens, der gerne beobachtet, seine Leidenschaften im Privaten, in der Ruhe lebt. Und der seine Ansichten klar ausdrückt. Er kann auch kämpferisch, leidenschaftlich, gar stur sein, allerdings nur dann, wenn er sich im Recht fühlt.

Und es sind Glücksmomente beschrieben wie: Der schönste Spielplatz für Kinder und Enkel waren die Baustellen des Vaters. Die ganze Familie hat mitgearbeitet bei der Renovierung des Ferienhauses in Champery.

Enge Gedankenwelt in den 50er Jahren an der ETH Zürich

Die Architekturstudierenden aus dem Jura fanden sich zu Beginn der 50er Jahre an der ETH Zürich rasch zu einer Gruppe zusammen. Le Corbusier wurde bewundert – eine Aufbruchstimmung herrschte an der ETH selbst nicht. Im Gegenteil. Ein Flachdach zu konstruieren war unmöglich. Eine zweite Heimat wurde Zürich nie. Zusammen mit dem Gymerkollegen und späteren Architekturprofessoren Alain-Gérard Tschumi gründete Rodolphe ein eigenes Büro in Biel. 20 Jahre wirkten sie zusammen.

Wie können wir uns die Zusammenarbeit vorstellen?

Marianne Baumann sitzt inzwischen auch am Tisch in der offenen Küche und sagt: «Es war eine schöne Zusammenarbeit. Tschumi ist der Künstler gewesen, mein Mann der Praktiker, der geschaut hat, dass die Werke realisierbar wurden. Tschumi hat schon auch mal Dinge, wie zum Beispiel den Stauraum, die Schränke, schlicht vergessen.»

Heimat

Theorien sind Rodolphe Baumann eher fremd: «Man liebt oder man liebt sie nicht, seine Umgebung. Heimat ist das, was man liebt. Und wenn man seine Region, seine Umwelt liebt, dann hat man als Architekt und Raumplaner die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Es braucht die Liebe zur Landschaft. Technisches Wissen oder theoretische Abhandlungen führen oft nicht zum Ziel. Die Wärme eines Foyers oder eines Hauses, wo jedermann sich sofort zu Hause und beheimatet fühlt, hat mit Architektur zu tun, aber auch mit dem Erleben, dem gelebten Leben.»

Die nahe Verwandtschaft und der Freundeskreis leben über die halbe Welt verstreut, der offene Blick in die Welt hinaus recht weit, dennoch ist es obsolet Rodolphe Baumann zu fragen, ob er Heimat braucht.

La Neuveville

Geboren in la Neuveville, lebt und arbeitet Rodolphe Baumann mitten in seiner Landschaft, dem weiten Horizont des Seelandes, im Familienhaus mit dem Atelier gleich gegenüber, mit der steilen einfachen Holztreppe ohne Geländer. Um administrative Grenzen habe sich hier im Zusammenleben und Arbeiten nie jemand geschert. Eine Aussage, die man besser versteht vor dem Hintergrund des Jurakonflikts. «Wir haben uns höchstens mit den Gleichaltrigen in Le Landeron geprügelt, weil sie katholisch waren».

Die lebenslange Partnerin Marianne ist die künstlerische Seele des Hauses. «Wir sind von einem selbst entworfenen Haus ins Nächste gezogen, auch wenn sie jeweils noch nicht ganz fertig waren». Die Familie ist stets in la Neuveville geblieben.
Der Architekt und spätere Raumplaner beim Kanton Bern ist tief verwurzelt und hat seine Heimatstadt und die Entstehungsgeschichte tiefgründig erforscht, kennt sie, wie niemand anderer. Nachzulesen in seinem eindrücklichen Werk: «La Neuveville, naissance d’une cité 1312-1318» von 2012 (erschienen in der Editions Intervalles als Beilage zur Nummer 92/93).

Baukultur

«Wir Architekten müssen bescheiden bleiben, für andere bauen und nicht Denkmäler errichten zu unserem eigenen Ruhm.» Diese innere Haltung zeigen bereits die ersten Gebäude des Büros Baumann Tschumi: die flachen Atriumhäuser am «Chemin des Aubépines» oberhalb von la Neuveville, später die Primarschule in Cornol und insbesondere das Kirchgemeindehaus in La Neuveville von 1959.

Kirchgemeindehaus La Neuveville.
Kirchgemeindehaus La Neuveville. Bild: zVg

Das Kirchgemeindehaus in La Neuveville steht heute unter Denkmalschutz. Die sehr jungen Architekten Baumann Tschumi mussten die Mitglieder der Kirchgemeinde mit viel Überzeugungskraft für das neuartige Gebäude gewinnen. Kein einziger 90 Grad Winkel ist zu finden. An der Versammlung der Kirchgemeinde brachte der Vergleich mit den Waben eines Bienenstocks den Durchbruch: ein Bienenhaus für die Kirchgemeinde.

Foyer und Saal.
Foyer und Saal. Bild: zVg
Garderoben und Kassenhalle.
Garderoben und Kassenhalle. Bild: zVg

Die Innenräume verlangen nach keiner Innendekoration, die Räume stehen für sich. Die Linien sind klar gesetzt und das Zusammenspiel der Proportionen wohltuend für das Auge. Ein lebendiger Ort. Die Menschen kommen hier oft und gerne zusammen. Das aussergewöhnliche Gebäude schreit dennoch nicht nach Präsenz, es ist mit viel Gespür in die Umgebung eingefügt.

Das eigene Werk steht für gute Baukultur und inspiriert die Nachkommen bis heute. Sein Sohn schreibt, er habe dank ihm buchstäblich in Architektur gebadet.

Kämpfen für gute Baukultur in Harmonie mit dem Raum und einer intakten Landschaft

Ist ein Gespür für gewachsene Orte und Gebäude erlernbar oder trägt man das in sich?

Hierzu fällt dem Architekten und früheren Wettkampf-Jollen-Segler die Antwort leicht: «Es ist meine Region, die ich liebe und deshalb engagiere ich mich als Architekt, als Planer und helfe die Seen, die Landschaft und gute Baukultur aktiv zu schützen» Das grammatikalische Präsens ist hier bewusst gewählt.

Das grosse Engagement von Rodolphe Baumann für die Baukultur, den Landschaftsschutz und den Uferschutz im Berner Jura prägten auch die Geschichte des Berner Heimatschutzes mit. Er erhielt von der Regionalgruppe Biel den Auftrag eine neue Gruppe des Berner Heimatschutzes für den jungen Berner Jura aufzubauen, nach der Loslösung des Kantons Jura. Eine schwierige Aufgabe sei das gewesen, erzählt Rodolphe Baumann. Plötzlich steht die Jurafrage wieder im Raum. Für ihre Kinder sei der Jurakonflikt noch sehr präsent gewesen und die nachfolgende Spaltung. Für die Grosskinder habe sie glücklicherweise keine Bedeutung mehr.

mit Erfolg und unermüdlich …

Rodolphe Baumann bezeichnet sich als Freidenker und er kämpft gegen reines Profitdenken auf Kosten der Qualität der Bauten in dieser von ihm geliebten Region. Er ist aktiv involviert, ein völlig überrissenes Bauvorhaben eines Grossverteilers für den Campingplatz in Prèles zu überprüfen, welches der Berner Heimatschutz in Folge erfolgreich verhindern kann. Rodolphe Baumann informiert den Gast Raphaël Chatelet, Leiter der Bauberatung der Regionalgruppe Jura bernois, auch gerade über sein aktuellstes Anliegen: Das historische und geschützte Gebäude «Moulin de la Cave» wurde im Jahr 2000 gerettet, ist aktuell aber erneut bedroht. Die Erben des früheren Besitzers wollen Luxuswohnungen einbauen, ohne Rücksicht auf die Besonderheit der ehemaligen Mühle, welcher bisher niemand Beachtung schenkt und die es unbedingt zu erhalten gilt.

Die Erben sehen einzig die Rendite, der Gemeindebehörde fehlt es vielleicht an Wissen um die Einzigartigkeit. Man müsse sich mit einer Einsprache beeilen. (Anmerkung: Eine Einsprache wurde von der Regionalgruppe Jura bernois formuliert und eine Schlichtungssitzung ist nun bald vorgesehen.)

Haben Sie Nachteile erfahren wegen des leidenschaftlichen Engagements für lebendige und gute Baukultur?
«Wir sind nicht reich geworden, haben aber dennoch gut gelebt», meinen Rodolphe Baumann und seine Frau lachend.

Zukunft

Zur persönlichen Zukunft sagt Marianne Baumann: «Die Zukunft ist in unserem Alter nicht mehr präsent». Das Präsens zählt. Was mich wirklich glücklich macht, sagt Rodolphe Baumann, «sind die Rückmeldungen der Menschen, die in meinen Häusern wohnen und mir jedes Mal sagen, was für ein Glück es sei, darin zu leben, seit 60 Jahren». Rodolphe Baumann hat nachhaltig und erschwinglich gebaut, ist haushälterisch mit dem Boden umgegangen als es den Begriff der «Nachhaltigkeit» so noch nicht gab.

Gibt es einen wirklich wichtigen Wunsch?

«Fast 100 Mitglieder zählte der Verein für den Schutz der Altstadt von La Neuveville. Wir haben bereits früh, 1987 zusammen mit dem Berner Atelier 5 die Bevölkerung eingeladen am Nutzungsplan für die Altstadt von la Neuveville mitzumachen, wir sind in die Schulen zu den Kindern gegangen, wir konnten in der Stadt eine Stimmung kreieren für gute Baukultur. Das ist verloren gegangen. Es ist wichtig, die junge Generation zu gewinnen.»

Und zum Schluss noch dies …

Wenn die Grosskinder auf dem Plakat zu Ehren des 90. Geburtstag neben dem Lebensmotto «Geben, um zu nehmen», schreiben «Ich liebe Dich, Grandpapa» dann ist dies auch ein Beweis dafür, einen langen und schönen Lebensweg gegangen zu sein.

Interview Beatrice Born, Mitarbeit Raphaël Chatelet

Weitere Informationen

Die Gründung der Regionalgruppe Jura bernois