Interlaken Oberhasli

Landschaftsästhetik – wann ist eine Landschaft schön?

Der Berner Heimatschutz Region Interlaken Oberhasli lud am 23. Oktober 2024 ins Hotel Interlaken ein. Rund 90 Personen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft folgten der Einladung. Diskutiert wurde über die Schönheit der Landschaft und dessen Veränderung durch den Menschen. Das Erleben der Landschaft ist subjektiv und von Erinnerungen und Erwartungen beeinflusst.

Veränderung der Landschaft im östlichen Berner Oberland über die Jahrhunderte

Heini Sauter, Architekt ETH, Leiter Bauberatung des Berner Heimatschutz Region Interlaken Oberhasli dokumentierte mit einigen Bildern wie sich die Landschaft und die Siedlungsräume im östlichen Berner Oberland von der Zeit der Kelten und Römer bis hin zur heutigen Zeit entwickelt haben. Vor allem der im 18. Jahrhundert aufkommende Tourismus erforderte zahlreiche Eingriffe in die bis dahin weitgehend unberührte Natur. Hotels, Strassen, Berg- und Eisenbahnen wurden gebaut, sodass die Gäste aus dem In- und Ausland die Schönheiten der Bergwelt, der Gletscher und Seen möglichst bequem und aus nächster Nähe betrachten und geniessen konnten. Die Bautätigkeit in touristische Infrastrukturen hält bis heute an und die Touristenströme bleiben hoch und nehmen gar zu. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich das Landschaftsbild der Region Interlaken Oberhasli nachhaltig verändert und wird sich weiter verändern. Der Berner Heimatschutz Region Interlaken Oberhasli beobachtet diese Entwicklung wachsam, manchmal kritisch, manchmal mit Interventionen.

Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL-FP)

Raimund Rodewald, promovierter Biologe und Ehrendoktor der juristischen Fakultät der Universität Basel, seit 1992 Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz in Bern, zeigte auf, dass viele Faktoren unsere Landschaftswahrnehmung bestimmen und beeinflussen.

Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz wurde 1970 unter dem Patronat von Bundespräsident Hans Peter Tschudi durch Pro Natura, Schweizer Heimatschutz, Espace Suisse, SAC und durch den Schweizerischen Tourismus-Verband gegründet. Zum ersten Geschäftsführer wurde Hans Weiss ernannt; er ist vor wenigen Tagen 84-jährig verstorben. Hans Weiss war während Jahrzehnten der Kämpfer gegen die Verschandelung der Schweiz und die Zerstörung unserer Landschaft.

Hans Weiss verhinderte zahlreiche Schandtaten: im Oberengadin war die ganze Ebene zwischen Silvaplaner- und Silsersee sowie das Fextal als Bauzone freigegeben und diese Juwelen der Bündner Alpen wären verschandelt worden. Bei Rhäzüns hätte eine vierspurige Autobahn mitten durch die prächtige Auenlandschaft führen sollen und die damals wenig bekannte Greina-Hochebene sollte durch einen Stausee überflutet werden. Im Salgesch im Walliser Rhonetal beabsichtigte man, die traditionellen Rebberge platt zu machen und zwischen Murten-, Bieler- und Neuenburgersee wollte ein amerikanischer Pharmakonzern mitten im Landwirtschaftsgebiet einen Firmensitz aus dem Boden stampfen. All diese Super-GAU’s der Raumplanung hat der Anwalt der Landschaft Hans Weiss verhindert, wurde als Querulant, Verhinderer, Ewiggestriger beschimpft, was ihm völlig gleichgültig war. In seine Fussstapfen ist Raimund Rodewald getreten. Er setzt das Erbe von Hans Weiss mit dem gleichen Elan und der gleichen Hartnäckigkeit fort, bis er demnächst in Pension geht.

Baukultur und Landschaftsschutz

Baukultur umfasst nach Raimund Rodewald alle menschlichen Tätigkeiten, die den gebauten Lebensraum verändern. Baukultur beginnt bei der offenen Landschaft, umfasst das Gebaute, aber auch das Ungebaute, das Dazwischen.  Der Begriff Landschaft wird durch die Europäische Landschaftskonvention 2000 definiert: "Landschaft" ein Gebiet, wie es vom Menschen wahrgenommen wird, dessen Charakter das Ergebnis der Wirkung und Wechselwirkung von natürlichen und/oder menschlichen Faktoren ist.
 
Landschaftsschutz bedeutet: Vielfalt und Qualität der Landschaftsleistungen sichern. Landschaften schaffen Lebensräume, Kulturlandschaften sind die geschichtlichen Speicher unseres Tuns, Landschaften ermöglichen eine gemeinsame Identifikation, Landschaften sind Orte von Erfahrungen, Assoziationen, Erinnerungen, Landschaften sichern den Lebensraum des Menschen, naturnahe Kulturlandschaften stellen das Tourismuskapital dar.

Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz versteht sich als Bindeglied zwischen Heimatschutz und Naturschutz. Schon bei deren Gründung 1970 hielt man fest, die Schönheit der Schweiz sei durch die verkehrstechnische und bauliche Entwicklung bedroht. Die Landschaft ist als Lebensgrundlage anerkannt und gestärkt, für heutige und künftige Generationen, wird als Vision und Strategie definiert.

Warum Bauwerke, Natur und Landschaft schön sind

Liegt die Schönheit eines Bauwerks, der Natur oder einer Landschaft nur im Auge des Betrachters? Raimund Rodewald sagt: Nicht der individuelle Geschmack interessiert, sondern die öffentliche ästhetische Wirkung – im Sinne des «interesselosen Wohlgefallens» - unseres Umgangs mit Natur und Landschaft. Ein «interesseloses Wohlgefallen» hat ein Mensch – sagt Immanuel Kant -, wenn ihm etwas gefällt und demnach eine Lustempfindung auftritt, dieses Wohlgefallen aber durch keine Interessen bedingt ist, sondern unabhängig von einem persönlichen Nutzen auftritt. Von der Antike bis in die heutige Zeit wurden zahlreiche Schönheitstheorien aufgestellt, von Platon über Hegel, Kant, Rilke, Bacon bis hin zu Raimund Rodewald und Mitautoren der ETH Zürich.

Erkennt unser Gehirn die Schönheit einer Landschaft?

In den letzten Jahrzehnten haben zahlreiche Neurowissenschaftler und Hirnforscher untersucht, wie das menschliche Gehirn vom blossen Sehen einer Landschaft zu deren ästhetischen Wirkung gelangt. Sie wollen herausfinden, was im Gehirn passiert, wenn jemand etwas als schön erachtet. So kann z.B. mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie die Gehirnaktivität bei freiwilligen Probanden, während diese Videos unterschiedlicher Landschaften betrachten, gemessen werden. Aus den Messergebnissen kann man schliessen, welche Hirnregionen die Signale aufnehmen und verarbeiten. Vor allem beim Betrachten schöner Landschaften werden das Belohnungssystem im frontalen Kortex und die visuellen Areale der Grosshirnrinde aktiviert. Die Forschung steht allerdings erst am Anfang.

Rechtsgrundlagen der Schönheit von Landschaften

Die Bundesgesetze über die Nutzbarmachung von Wasserkräften WRG, über den Natur- und Heimatschutz NHG über die Raumplanung RPG bilden den Rahmen der Aktivitäten der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz SL-FP. Die wichtigsten Vorgaben sind:

Der Bund, seine Anstalten und Betriebe sowie die Kantone sorgen bei der Erfüllung der Bundesaufgaben dafür, dass das heimatliche Landschafts- und Ortsbild, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler geschont werden und, wo das allgemeine Interesse an ihnen überwiegt, ungeschmälert erhalten bleiben (NHG).

Für die Erstellung der Richtpläne erarbeiten die Kantone Grundlagen, in denen sie feststellen, welche Gebiete besonders schön, wertvoll, für die Erholung oder als natürliche Lebensgrundlage bedeutsam sind (RPG).

Naturschönheiten sind so zu schonen und da, wo das allgemeine Interesse an ihnen überwiegt, ungeschmälert zu erhalten. Die Wasserkraftwerke sind so auszuführen, dass sie das landschaftliche Bild nicht oder möglichst wenig stören (WRG).

Es besteht demnach sowohl eine Schutzpflicht als auch eine Schonpflicht. Während die Schutzpflicht in den Gesetzen eindeutig definiert ist, ist es die Schonpflicht nicht. Sie hängt weitgehend von der Beurteilung durch Experten ab und führt oft zu kontroversen Meinungen und Diskussionen. In diese Diskussionen bringen sich der Heimatschutz und die Stiftung Landschaftsschutz ein. Schonen heisst Handeln, Schonen heisst «Care-Arbeit» zu leisten.

Energiewende

Die Energiewende fordert den Ausbau der Wasserkraft, der Wind- und der Solarenergie. Wo sollen diese neuen Energieinfrastrukturen gebaut werden? Es zeigt sich, dass die Windenergie keinen guten Ruf hat, dass der Ausbau der Wasserkraft und der Zubau von alpinen Solaranlagen in den Bergregionen nicht ohne Widerstand ist.

Die Energieproduktion muss möglichst im Einklang mit der Natur und der Landschaft erfolgen. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz beurteilt die geplanten Energieprojekte nach einigen Grundsätzen:

  • Ausbau bestehender Kraftwerksstandorte im Sinne von Energieinfrastrukturlandschaften
  • Bündelung mit bestehender Infrastruktur und Nutzung bereits vorbelasteter und erschlossener Landschaftsräume
  • Erschliessung und Netzanschluss vorhanden
  • Keine Biodiversitätswerte oder Schutzobjekte betroffen

Der Ausbau der Windkraft darf nicht zu Lasten der Landschaft erfolgen. Ein Standort ist dann geeignet, wenn eine Bündelung mit Grossinfrastrukturen, eine Nähe zu vorbelasteten Gebieten, Nähe zu stark urbanisierten Gebieten, geringe Schutzgüter und geringe Silhouettenwirkung, Nähe zu Verbraucherorten gegeben sind.

Der Bund geht von 700 neuen Windanlagen aus. Das realistische Potential liegt bei maximal 200 Anlagen.

Auch beim Ausbau der Photovoltaik muss eine Bündelung mit bestehenden Infrastrukturen erfolgen. Zudem ist eine sorgfältige Planung Voraussetzung. Schlechte Beispiele sind etwa Freiflächenanlagen auf Alpweiden oder an Felswänden, in völlig unbelasteter Landschaft ohne jegliche Erschliessung.

Kriterien für die Eignung einer Landschaft zum Bau einer Photovoltaikgrossanlage:

  • Bündelung mit bestehenden Infrastrukturen
  • technisch bereits überprägtes Gebiet
  • Gebiet mit Vorbelastung / keine Schutzobjekte betroffen
  • Vorhandensein von strassen- und leitungsmässiger Erschliessung
  • Einsehbarkeit als Kriterium ist zu differenzieren
  • keine Umzäunung!
  • z.B. den Geländeformen folgen
  • Aufstellung der Modulreihen gemäss Landschaftsstruktur
  • Tiere können zirkulieren
  • Beweidungs- und Mähmanagement

Im Kanton Bern sind 15 Photovoltaikanlagen auf der Grundlage des Solarexpress geplant, jedoch ist noch keine im Bau. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat aufgrund der von ihr festgelegten Kriterien ein Ampelsystem entwickelt und die 15 Projekte danach qualifiziert.

  • 7 abgelehnt von der Gemeinde (SolSarine 2mal)
  • 1 angefochten per Rekurs-Alp Morgeten in Oberwil i.S. (Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, Mountain Wilderness, SAC)
  • 2 von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz akzeptiert (Belpmoos, Mont-Soleil)
  • 2 rot im Ampelsystem der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (Hintisberg, Tschingel-West), werden bekämpft
  • 2 gelb im Ampelsystem (Hahnenmoos, Tschenten), unter Auflagen denkbar
  • 1 nur eine private Idee (Prés-d-Orvin), Realisierung unwahrscheinlich

 

Ein gelungenes Beispiel einer Windparkanlage

Der Windpark Mont-Crosin ist der grösste Windpark der Schweiz und wird von der Juvent SA betrieben. Der Windpark steht auf dem Mont-Crosin im Berner Jura und verfügt über insgesamt 16 Windkraftanlagen unterschiedlicher Typen.

Ein besonders schlechtes Beispiel einer geplanten Solaranlage
Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich planen an einer Felswand direkt am Walensee eine grosse Freiflächen-Solaranlage entstehen. Das Projekt Felsenstrom will den ehemaligen Steinbruch Schnür, der am Nordufer des Walensees liegt, mit rund 22'000 Solarpanels auskleiden.

Die Umweltbereiche Wald und Flora, Fauna und Lebensräume werden durch das Kraftwerk stark beeinträchtigt und die Auswirkungen sind als permanent zu betrachten. Dazu gehört der Verlust von schützenswerten Lebensräumen und Waldgesellschaften sowie die Gefährdung von diversen geschützten Arten. Der Eingriff in die Landschaft ist auch unter grösstmöglicher Schonung mit Umsetzung der projektimmanenten Vermeidungs-, Minderungs- und Wiederherstellungsmassnahmen als schwerwiegend und permanent zu beurteilen.

Ingenieurbaukunst als Vorbild

Entscheidend ist, wie die Ingenieure Bauprojekte wie Brücken, Staumauern, Windräder, Strassen der gegebenen Landschaft anpassen. Dabei spielen der Funktionen die zentrale Rolle: Vertikalität, Proportionalität, Materialität.
Bei der Vertikalität müssen Bündelungen gesucht, müssen die Sichtachsen respektiert und bei Windrädern eine Konzentration entlang bereits bestehender Stromtrassen (Freileitungen) angestrebt werden.  

Mit Proportionalität ist meint, dass die Markanz und Dominanz der Topografie zu respektieren ist. Ein gutes Mass ist der bekannte goldenen Schnitt. Werden diese zwei Faktoren eingehalten, zeigen bereits bestehende Brücken und Staumauern, dass die Erhabenheit der Natur durch das Bauwerk erhalten oder gar gemehrt wird.

Unter Materialität wird die Qualität, der für den Bau zu verwendenden Materialien verstanden. Die Frage, die sich hier stellt, lautet, wie korrespondieren oder eben kollidieren die gewählten Materialien mit der bestehenden Landschaft.

Fazit

Bauen ist immer eine öffentliche Angelegenheit. Die Öffentlichkeit ist das Auge des Betrachters. Werden einige landschaftsästhetische Aspekte eingehalten, können Bauten durchaus landschaftsverträglich realisiert werden und werden vom Betrachter gar als schön wahrgenommen.

Infrastrukturen wie Brücken, Strassen, Staudämme, Windparkanlagen, Solaranlagen usw. sind nur dann Landschaft, wenn daraus Baukultur entsteht.

Die Bauherrschaft ist immer dann auf der sicheren Seite, wenn die Bauprojekte sorgfältig und unter Beizug ausgewiesener Fachleute geplant werden.

Um einige Landschaften der Schweiz ohne jegliche Bauten zu erhalten, fordert die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz die Schaffung von drei weiteren Nationalparks.
 

Dr. Peter Oeschger, Präsident Berner Heimatschutz Region Interlaken Oberhasli