Portrait
Catherine Preiswerk
Catherine Preiswerk (51) Architektin und seit 10 Jahren Bauberaterin des Berner Heimatschutzes Region Biel Seeland lebt in Biel-Bienne.

Mit Neugier auf Entdeckungsreise

Das Wirken von Catherine Preiswerk (51) ist bemerkenswert. Die Bieler Architektin mit eigenem Büro handelt, wenn es nötig ist: bei unsinnigen Autobahnbauten, für neues Leben in alten Industriebauten und seit 10 Jahren als Bauberaterin. Weshalb sie eine überaus gewichtige Pforte als einen ihrer «Lieblingsgegenstände» bezeichnet?
Eingangstors der Basilica San Marco in Venedig

Sie haben das Bild des wirklich schweren, wunderbar gearbeiteten Eingangstors der Basilica San Marco in Venedig mit grimmigen Löwen als einen ihrer «Lieblingsgegenstände» zum Begriff «Heimat» ausgewählt, was gefällt Ihnen daran?

Die Pforte, der Türgriff. Das Aufmachen öffnet den Blick, sei es auf das Bekannte und Liebgewonnene oder auf eine neue Entdeckung. Auf ein Stück alte oder neue Heimat.

Das «Questionnaire» des französischen Schriftstellers Marcel Proust war ein beliebtes Gesellschafts-Spiel in den Salons seiner Zeit – danke, dass Sie sich kurz darauf einlassen mögen:
Ihr Hauptcharakterzug?

Spontan, vernetzend und engagiert.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?

Sprachgewandt durch jede «Heimat» zu kommen.

Was ist für Sie vollkommenes irdisches Glück?

... vollkommen? Dem Glück zu begegnen, man muss es nur sehen.

Gab es ein Erlebnis oder eine Person, die Sie entscheidend beeinflusst haben, dass Sie geworden sind, wer Sie heute sind?

Bestimmt war der Oberländer Architekt Ernst E. Anderegg wegweisend für meine Berufswahl. Als Sechsjährige besuchten wir täglich die Baustelle meiner zukünftigen Heimat für die nächsten 10 Jahre. Er baute uns ein Haus. Später als Architektin bin ich einen vielseitigen Weg gegangen. Inspiriert hat mich sicher meine Zeit bei Herzog & de Meuron, aber auch das Theater.

HEIMAT

Was bezeichnen Sie als Heimat?

Orte, die mich berühren, identitätsstiftend wirken und mit Menschen in Verbindung stehen.

Wenn Sie nach Max Frisch eine Heimat wählen müssten: a) ein Dorf, b) eine Stadt oder ein Quartier, c) einen Sprachraum, d) einen Erdteil?

Nach Max Frisch: b) die Stadt, mit Weitblick auf Berge.

Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders?

Heimat ist in meinem Verständnis nicht statisch. Heimat ist die Lebensreise. Ein Beispiel: Die Geräusche der Boote – ich bin zurzeit in Venedig. Es ist die Interaktion mit der Landschaft, dem Ort und den Menschen.

Haben Sie eine 2. oder 3. Heimat?

Eine Vielzahl, vom greifbaren Gegenstand bis zum übergeordneten Ganzen.

Kann man Heimat austauschen?

Austauschen nicht, aber vervielfachen.

Gibt es Orte, wo Sie das Entsetzen packt bei der Vorstellung, dass es für Sie die Heimat wäre?

Der Gedanke an einen menschenleeren Ort löst bei mir ein Gefühl von Beklommenheit und innerer Leere aus.

BAUKULTUR

Was verstehen Sie unter guter Baukultur?

Baukultur als Begriff ist unglaublich komplex, doch es ist ein Versuch wert, sie zu veranschaulichen: Ein Ort, der Bezüge zu seiner Nachbarschaft schafft, eine Ordnung mit Ausnahmen ermöglicht, expliziten Raum schafft für die geforderte Nutzung und in der Substanz und Materialisierung sorgfältig elaboriert ist.

Ist ein Gespür für gewachsene Orte und Gebäude erlernbar oder trägt man das in sich?

Die Umgebung, der Ort und die gebaute Struktur beeinflussen uns stark und tragen unbewusst viel zu unserem Wohlbefinden bei. Erinnerungen und Wahrnehmung prägen uns sicherlich.

Was sagen Sie Menschen bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie, wenn sie erfahren, wie wichtig Ihnen gute Baukultur und deren Schutz und Pflege sind und Sie sich freiwillig dafür einsetzen?

Wir sind ein Teil eines Ganzen, jeder trägt eine Verantwortung für seine Umgebung mit. Durch Mitgestaltung können wir bewegen. Persönliche Erfahrungen stützen diese Haltung.

Was ist Ihr bevorzugtes Beispiel, um aufzuzeigen, dass sich das Engagement für gute Baukultur, lebenswerte Städte und Dörfer in einer ökologisch vielfältigen Umwelt lohnt?

Die geplante Westumfahrung N5 der Stadt Biel, eine geplante Stadtautobahn mitten durchs Zentrum von Biel konnten wir mit grossem Einsatz verhindern. Dies schien zu Beginn ein «Ding der Unmöglichkeit». Nur durch das anfänglich intensive Engagement einzelner Personen, welche nach und nach zu einer grossen Bevölkerungsgruppe wuchs, konnte dieses absurde, nicht zeitgemässe Projekt verhindert werden.

Gibt es Vorurteile über den Berner Heimatschutz, die Sie öfters ärgern?

Wenn das Eigentum betroffen ist, scheint vielen Schweizer/-innen der Begriff der denkmalpflegerischen Schutzwürdigkeit ein Dorn im Auge zu sein. Sie lieben zwar schöne Plätze oder historisch gebaute Städte im Urlaub oder gar den Oldtimer in der Garage. Das ältere Bausubstanz erhalten und aufgewertet werden kann, scheint für sie einschränkend in ihrer Freiheit. Dass ich auch schon als «Heimatschutz-Polizei» bezeichnet wurde, zeigt dies exemplarisch.

Wie begegnen Sie diesen?

Die Aufgabe als Bauberaterin erfordert Gelassenheit.

ZUKUNFT

Sollen wir noch neu bauen und wenn ja, wie und womit?

Gefordert ist ein sinnvoller Umgang mit Ressourcen. Gute Bausubstanz abreissen und so Platz für Neues zu schaffen, scheint mir anachronistisch zu sein. Mit Umnutzen, Aufwerten, Wiederverwendung von Bauteilen und mit einem Weiterbauen können wir für die nächste Generation eine zukunftsfähige Heimat schaffen: Lebendige Orte, mit Identität und Geschichte. Diese Haltung schliesst den Neubau nicht per se aus. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Aufgabe und eine sorgfältig, nachhaltig konstruierte Umsetzung sind Bedingung.

Und zum Schluss ein wirklich wichtiger Wunsch für die Zukunft?

Mit dem kürzlichen Abriss des ehemaligen Mikron-Gebäudeensembles in Biel ging ein weiteres wertvolles Stück Baukultur und Industriegeschichte Biels verloren. Dies war nur problemlos möglich, da diese Gebäude nicht im Bauinventar verzeichnet waren.

Diese Tatsache veranlasste uns, das «Komitee ReUsine» zu gründen. Mit der Sensibilisierung zum Erhalt der industriellen Bauten Biels und einem zukunftsorientierten Umgang mit Bausubstanz erhoffe ich mir, dass wir in der Politik und Verwaltung sowie den Eigentümern ein Verständnis für dieses wertvolle, baulich sowie geschichtsträchtige Erbe wecken.

Mein Wunsch ist es, dass wir als Gesellschaft es zukünftig gemeinsam schaffen, Bauten zu erhalten, zu transformieren und diese mit Wert und Identität an die nächste Generation zur Weiternutzung zu übergeben.

Von Beatrice Born