Portrait
Rolf Mühlethaler
Foto: Rolf Mühlethaler

Vergänglichkeit, Transformation und Metamorphose

Vor dem Arbeitsraum des renommierten Berner Architekten Rolf Mühlethaler (66) bleibt die Holz-Skulptur seines Freundes, des Künstlers Rolf Iseli, der Witterung überlassen. In der Regel lasse sich mit liebevollem und sorgfältigem Blick für die Seele eines Objektes Vorurteile gegenüber den Anliegen des Berner Heimatschutzes abbauen. Rolf Mühlethaler warnt vor einer Regeldichte beim künftigen Planen und Bauen, zunehmend undurchschaubar, kaum mehr beherrschbar.

Sie haben diesen «Lieblings-Gegenstand» gewählt, weshalb? 

Die Skulptur von Rolf Iseli haben wir vor einiger Zeit vor dem Entsorgen gerettet und unmittelbar zwischen dem Atelier des Künstlers und meinem Arbeitsraum im Hof platziert. Der Witterung ausgesetzt lassen wir ohne Eingriffe das «Tütschi» würdig altern. Fast unmerklich, aber stetig nimmt sich die Natur der Holzskulptur aus den 1970er-Jahren an. Vergänglichkeit, Transformation und Metamorphose sind Teil des Werkes von Rolf Iseli. Ob wir Teile davon flicken oder ersetzen wird laufend und kontrovers diskutiert. Einer Restaurierung in den ursprünglichen Zustand stehen wir beide skeptisch gegenüber.

Skulptur von Rolf Iseli
Skulptur von Rolf Iseli. Foto: Rolf Mühlethaler

Gab es Personen oder Erlebnisse, die Sie beeinflusst haben, dass Sie der geworden sind, der sie heute sind?

Rolf Hesterberg, Gründungsmitglied der Architektengemeinschaft «Atelier 5», hatte 1980 keine Stelle als Architekt frei, als ich nach dem Studium auf Empfehlung des Künstlers Rolf Iseli danach fragte. Rolf Hesterberg wiederum empfahl mir Max Schlup in Biel. Max Schlup hat mich zusammen mit Rolf Iseli als Architekten massgeblich beeinflusst und Werte vermittelt, welche mein Arbeiten und Handeln bis heute prägen. Als es noch möglich war haben Rolf Hesterberg, Rolf Iseli, Max Schlup und ich eine wunderbare Freundschaft gepflegt.

HEIMAT

Was bezeichnen Sie als Heimat?

«Wir selber bauen unsre Stadt» 1954 von Max Frisch, Luzius Burkhardt und Markus Kutter fordert den Heimatbegriff durch Widerstand aus der Verhäuselung und Genügsamkeit der Schweiz heraus und leistet einen bis heute aktuellen Diskurs für einen reflektierten Heimatbegriff. Der Aufruf kann verstanden werden, die eigene Vorstellung von Heimat laufend kritisch zu überprüfen und einen aktiven Beitrag dazu zu leisten.

Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders?

Es ist im Besonderen die Chance und Möglichkeit sich in seinen Stärken und Schwächen ohne Einschränkungen entwickeln zu können und seiner Leidenschaft folgen zu können.

Haben Sie eine 2. oder 3. Heimat?

Nein. Ich fühle mich aber in Berlin, wo wir diverse Aufträge bearbeiten durften und dürfen sehr wohl.

Kann man Heimat austauschen?

Mein Begriff von Heimat ist, ohne etwas dafür getan zu haben, geprägt vom Privileg in einen Ort und in ein soziales Umfeld der relativen Geborgenheit, Vertrautheit und Sicherheit geboren worden zu sein. Wie fragil dieses Selbstverständnis sein kann, wird uns täglich mit aller Klarheit und in seinen schrecklichsten Dimensionen gezeigt. Wie wichtig eine physische Heimat werden kann wird wahrscheinlich erst mit dem gewaltsamen Verlust erklärbar. Wünschenswert wäre ein weniger auf sich bezogener und wohlstandsgeleiteter Beitrag der CH-Gesellschaft zu ihrer zukünftigen Heimat.

Gibt es Orte, wo Sie das Entsetzen packt bei der Vorstellung, dass es für Sie die Heimat wäre?

Überall dort wo ein nationalistischer oder konfessioneller Heimatbegriff zu Krieg führt und Menschen mit physischer und psychischer Gewalt unterdrückt.

BAUKULTUR

Was verstehen Sie unter guter Baukultur?

Gute Baukultur ist zeitlos und an jedem Ort der Welt möglich und Ausdruck einer die Sinne berührenden Verbindung von Raum, Zeit, Material und Konstruktion.

Sie haben an der Universität der Künste in Berlin gelehrt, ist ein Gespür für gewachsene Orte und Gebäude erlernbar oder trägt man das in sich?

Wahrnehmen, Respektieren und Annehmen was da ist, war und ist unverzichtbarer und vermittelbarer Teil des Architektinnen- Metiers und Handwerks. Wiederverwenden von nützlichen und gebrauchten Dingen hat eine grosse Tradition und Sinnfälligkeit. Wichtig ist dem ästhetisierenden und populistischen Reuse-Trend eine inhaltliche, marktfreie und modeunabhängige Haltung entgegen zu setzen.
«Man braucht nicht viel Besonderes zu sehen. Man sieht so schon viel» Robert Walser

Was sagen Menschen bei der Arbeit, im Freundeskreis oder in der Familie, wenn sie erfahren, wie wichtig Ihnen gute Baukultur und deren Schutz und Pflege sind, dass Sie sich freiwillig dafür einsetzen?

Zwischen einer allgemeinen Diskussion über gute Baukultur, der Wertschätzung des Vorhandenen und einer erfahrbaren, persönlichen Zuwendung, zum Beispiel für ein eigenes Projekt, stelle ich eine grosse Diskrepanz fest. Immerhin hat sich seit den 1970er und 1980er-Jahren, in welchen das Neue in jedem Fall dem Bestehenden vorgezogen wurde, eine differenziertere Wertung unserer baulichen Erinnerung und Heimat eingestellt.

Haben Sie ein bevorzugtes Beispiel, um aufzuzeigen, dass sich das Engagement für gute Baukultur, lebenswerte Städte und Dörfer in einer ökologisch vielfältigen Umwelt lohnt?

Bei der Hochschule der Künste Bern in der ehemaligen Schild Tuchfabrik und dem unmittelbar benachbarten, ikonischen Tscharnergut Bern konnten wir unsere Haltung und Wertschätzung im unkonventionellen und vielbeachteten Umgang mit herausragenden Beispielen guter Baukultur der Nachkriegsmoderne schärfen.

Gibt es Vorurteile über den «Berner Heimatschutz», die Sie öfters ärgern?

In der Regel lassen sich mit liebevollem und sorgfältigem Blick für die Seele eines Objektes die Vorurteile abbauen. Nicht selten gewinnt man mit Überzeugungsarbeit auch bei den Besitzerinnen und Besitzern viel Verständnis und letztlich auch Dankbarkeit für einen neuen Blick auf ihren Besitz. Ob amtlich geschützt oder erhaltenswert spielt bei unserer Wertung keine Rolle. Wir versuchen durch Beobachtung und Lernen uns vom Vorhandenen inspirieren zu lassen für zukünftige Lösungen.

ZUKUNFT

Sollen wir noch neu Bauen und wenn ja, wie und womit?

Selbstverständlich, in unserer Dichte zunehmend und wieder auf den Fundamenten und unter Einbezug des Vorhanden.

Ein wirklich wichtiger Wunsch für die Zukunft?

Dass die gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklungen und Einflüsse über eine extrem zunehmende Regeldichte nicht zu einem undurchschaubaren, letztlich unbeherrschbaren, insbesondere im Wohnungsbau kaum mehr bezahlbaren Planen und Bauen führen.

Von Beatrice Born