Politik und Recht
Grimselsee mit Räterichsbodensee im Hintergrund
Grimselsee mit Räterichsbodensee im Hintergrund (Foto: Kraftwerke Oberhasli / David Birri)

Verbands­beschwerde­recht unter Druck

Seit rund 60 Jahren können grosse vom Bundesrat bestimmte Umwelt - Natur- und Heimatschutzorganisationen Beschwerden gegen Bau- und Infrastrukturprojekte erheben. In der Märzsession 2025 wird in den eidg. Räten versucht, dieses Verbandsbeschwerderecht stark zu beschränken.

Julius Binder, Nationalrat CVP und Sohn einer Bauernfamilie gilt als Vater des schweizerischen Verbandsbeschwerderechts. Er gehörte auch zu den Befürwortern des ersten Natur- und Heimatschutzgesetzes von 1966 und des Verfassungsartikels zum Umweltschutz von 1971.

Seither können schweizweit tätige Organisationen, die vom Bundesrat bestimmt werden, gegen Bauprojekte, Autobahnen, Kraftwerke und Infrastrukturprojekte Beschwerde einreichen, wenn diese gegen gesetzliche Bestimmungen verstossen.

Damit Gesetze wirklich eingehalten werden

Um die Natur, Landschaft und Ortsbilder zu bewahren, haben Parlament und Volk Gesetze beschlossen. Das Verbandsbeschwerderecht dient dazu, dass die Gesetze zum Schutz der Natur, Landschaft und Ortsbilder auch wirklich eingehalten werden. In Fällen von erheblichen Eingriffen in die Natur- und Kulturlandschaft und nach sorgfältiger Prüfung ermöglicht das Verbandsbeschwerderecht, solche Projekte von Gerichten auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen zu lassen. Denn die Natur und die Steine können nicht für sich selbst einstehen.  

Damit die Natur, Ortsbilder und Baudenkmäler rechtliches Gehör erhalten

Das Verbandsbeschwerderecht kann nur in besonders kritischen Fällen erfolgreich zur Anwendung kommen. Nämlich nur dann, wenn eine Bewilligung gemäss sorgfältiger Prüfung gegen bestehende Gesetze verstösst. In diesen Fällen beurteilen unabhängige Behörden oder Gerichte, ob die Gesetze eingehalten werden und die Natur- und Kulturlandschaften, sowie Ortsbilder und Baudenkmäler genug bewahrt werden. Die wenigen Organisationen, die das Verbandsbeschwerderecht besitzen, können lediglich eine Überprüfung anstossen, ob des geltenden Rechts eingehalten wird. Am Ende entscheiden immer Gerichte, ob ein Projekt gesetzeskonform ist.

Sorgfältige Anwendung:

Nur in besonders kritischen Fällen kommt es zu Beschwerden. Zwischen 2010 und 2020 wurden 750 Wasser-, Wind- oder Biomassenprojekte realisiert. In diesem Zeitraum haben Umweltverbände im Schnitt weniger als 6 Beschwerden pro Jahr erhoben. Wenn sie vom zuständigen Gericht gutgeheissen werden, bedeutet das, dass ohne die Überprüfung bestehendes Recht verletzt worden wäre. So resultieren in zwei von drei Fällen die gesetzlich vorgegebenen Verbesserungen für Natur und Heimat. Gute, rechtmässige Projekte sind ein Gewinn für die Projektträger, die Natur und die Gesellschaft. Nur gesetzeskonforme Projekte stossen in der Gesellschaft auch auf Akzeptanz.

2008 versuchte der Zürcher Freisinn das Verbandsbeschwerderecht zu schleifen. Ausgelöst wurde die Initiative der FDP durch eine umstrittene Beschwerde des VCS und von Anwohnern gegen den Bau eines Stadions in der Stadt Zürich. Die Schweizer Stimmbevölkerung erteilte der Initiative eine klare Absage: 66 % der Stimmberechtigten verwarfen die Initiative deutlich.

Entscheid des Ständerats bricht mit elementaren Regeln des Umweltrechts

Heute stehen wir vor einem weiteren Versuch, das Verbandsbeschwerderecht zu kappen. Der Ständerat bringt den Beschleunigungserlass zum Energiegesetz aus dem Lot, indem er das Verbandsbeschwerderecht bei den 16 Wasserkraftprojekten des Stromgesetzes streichen will und so die Stimme der Natur zum Verstummen bringen will. Und dies, obwohl Bundesrat und Parlament vor sechs Monaten der Stimmbevölkerung bei der Abstimmung über das Energiegesetz im Abstimmungsbüchlein noch das Gegenteil versprochen hat.

Diese 16 Wasserkraftwerke wurden im Vorfeld an einem runden Tisch zusammen mit den Umweltverbänden dem Grundsatze nach befürwortet. Auch der Berner Heimatschutz hat die Standorte dieser Wasserkraftwerke im Kanton Bern unterstützt (Medienmitteilung) und begrüsst den Ausbau der erneuerbaren Energien in diesem Bereich. Wie diese Projekte aber im Detail ausgestaltet werden, steht heute bei den meisten Projekten noch nicht fest. Deshalb muss das Verbandsbeschwerderecht weiter bestehen.

Die Mehrheit des Ständerats will zudem ein Grundprinzip des Umweltrechts über den Haufen werfen: Ersatzmassnahmen zur Kompensation von Eingriffen in schutzwürdige Lebensräume sollen künftig für die Betreiber mit einer simplen Geldzahlung erledigt und nicht mehr Teil des Gesamtprojekts sein. Dieser «Ablasshandel» ist stossend.

Die Revision des Energiegesetzes ist mit diesen Anträgen in Schieflage geraten und droht abzustürzen. Das Verbandsbeschwerderecht ist ein zentrales rechtsstaatliches Prinzip in unserem Land. Wenn keine Korrektur in den abschliessenden Debatten in den eidg. Räten erfolgt, werden die Umweltverbände gezwungen, das Referendum gegen den Beschleunigungserlass zu prüfen.

Luc Mentha, Präsident Berner Heimatschutz