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Alexia Zeller. Foto: Karin Scheidegger

Steinbock Guezli Wald

Geschäftsleitungsmitglied Alexia Zeller (46) ist Pfarrerin im Simmental. Sie forschte an der ETH zur Geschichte und Theorie der Architektur. Warum gute Baukultur die Menschen auch zum Lachen bringen, erheitern kann und soll.

Sie haben uns ein wunderbares Foto gemacht von einem Lieblingsgegenstand, der für Ihren ganz persönlichen Bezug zu «Heimat» steht. Was hat es mit dem Steinbock auf sich?

Als «Heiwehbündnerin» verbindet die Guezliform vom Steinbock vor dem Niesen für mich Heimatort und aktuellen Wohnort – die Aufnahme entstand auf dem Weg vom Pfarrhaus zum Wald hinauf. Wälder sind für mich auch Heimat.

Steinbock Guetzli. Foto: Alexia Zeller

Gab es ein Erlebnis oder eine Person, die Sie entscheidend beeinflusst hat, dass Sie die geworden sind, die Sie heute sind?

Ganz viele :-), da ich viel umgezogen bin.

Ihr Hauptcharakterzug?

Vernetzend.

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?

Coolness.

Was ist für Sie vollkommenes irdisches Glück?

Im Lot sein.

HEIMAT

Brauchen Sie Heimat?

«Brauchen»? Vermutlich. «Haben» tuʼ ich jedenfalls eine.

Was bezeichnen Sie als Heimat? Der Schriftsteller und Architekt Max Frisch stellte in seinem Fragebogen zur Auswahl: a. ein Dorf, b. eine Stadt oder ein Quartier, c. einen Sprachraum, d. einen Erdteil, e. eine Wohnung.

Nach Max Frisch tatsächlich alle Punkte! Am ehesten aber c. Wobei es auch die nonverbalen Sprachen gibt, zum Beispiel das Bauen.

Was macht für Sie Heimat aus? Wenn Sie – erneut nach Max Frisch – wählen müssten: Die Landschaft? Dass Ihnen die Leute ähnlich sind in ihren Gewohnheiten, d.h., dass Sie sich den Leuten angepasst haben und daher auf Einverständnis rechnen können? Oder vielleicht ein Geruch oder ein Geräusch?

Landschaften ebenso wie Gerüche und Geräusche – deshalb auch die Wahl der Guezliform. Auf keinen Fall machen Ähnlichkeiten, Gewohnheiten, Konventionen oder Normen für mich Heimat aus.

Haben Sie eine zweite oder dritte Heimat? Kann man Heimat austauschen?

Ja, aber austauschbar sind sie nicht.

Gibt es Orte, wo Sie das Entsetzen packt bei der Vorstellung, dass diese für Sie die Heimat wären?

Situationen, wo Konventionen, Normen – Dogmen vorherrschen. 

BAUKULTUR

Was verstehen Sie unter guter Baukultur?

Wenn Baukultur einen beispielsweise amüsieren und zum Lachen bringen kann oder zu Erkenntnis führt – oder eine Brücke bildet zwischen gestern und heute und der Ewigkeit. Wenn sie nicht nur der Technologien, Materialien oder Ressourcen wegen nachhaltig ist, sondern Epochen rückwärts und vorwärts verbindet. Baukultur reicht für mich aber auch über das eigentliche Bauen hinaus, beispielsweise in die Sprache hinein. Das Wort «bedacht sein»: Das kann sowohl von «Dach» als auch von «Denken» her verstanden werden.

Was sagen Menschen bei der Arbeit, im Freundeskreis, in der Familie, wenn sie erfahren, wie wichtig Ihnen gute Baukultur und deren Schutz sind, dass Sie sich freiwillig dafür einsetzen?

Nichts. Denn sie wissen um mein Interesse fürs Gestern und Heute und für die Ewigkeit. Dass ich mich in jeder Art von Raum frage: «Was hat er für eine Geschichte? Was würden uns seine Wände wohl alles erzählen, wenn sie könnten, seine Mauern, Böden, Decken, Fenstersimse, Portlauben, Steine, Hölzer ...?» Und wenn man genau hinschaut und hinhört, tun sie das ja eigentlich auch ...

… Sie sagten vorhin, gute Baukultur könne uns zum Lachen bringen.

Sicher. Beispielsweise überraschen uns Hausinschriften auf Simmentaler Häusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Feinsinnige, freche Inschriften beispielsweise, Persiflagen von Gesell/-innen der Handwerker/-innen. Die Menschen waren zu allen Zeiten scharfsinnig und eigensinnig, mehr, als wir meinen. Zum Lachen kann uns aber auch ein Tier bringen, das zu früh über den frischen Beton täselät und Spuren hinterlässt – Poesie. Es geht bei Baukultur also auch um die Memoria des Humors und Gemüts aller Bauenden, nicht nur um die der Baulöw/-innen oder Immobilienhaie.

Was ist Ihr Lieblingsbeispiel, um aufzuzeigen, dass sich das Engagement für gute Baukultur, lebenswerte Städte und Dörfer in einer ökologisch vielfältigen Umwelt lohnt?

Für mich schwingt beim Wort ökologisch das griechische «oikos» mit, eine «Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft». Beispielsweise Hof- und Klostergemeinschaften verstanden sich ursprünglich als solche. Solche Arbeits- und Produktionsgemeinschaften wurden später oft zu Ausgangspunkten für die Entwicklung von verschiedenen Lebensformen und für die Urbarmachung von Gebieten und Kulturlandschaften bis hin zur Urbanisierung.

Gibt es Vorurteile über den Berner Heimatschutz, die Sie öfters ärgern?

Dass es immer nur ums Konservieren gehe oder um eine Einmischung ins Private.

Woran könnte das liegen?

Vielleicht daran, dass unter «Tradition» und «Fortschritt» nicht jedefrau und jedermann das Gleiche versteht. Und auch unter dem «Recht auf Vergessen» nicht. Ich kenne Menschen, die in den wertvollsten Bauten Schlimmes erlebt haben – und deshalb deren Wände um keinen Preis der Welt schützen wollen. Es geht um die Kunst und Verantwortung, zwischen kollektivem und individuellem Gedächtnis abzuwägen, zwischen privatem und öffentlichem.

ZUKUNFT

Sollen wir noch neu bauen, und wenn ja, wie?

Ja, warum nicht? Solange das Bauen Witz und Erkenntnis zulässt – und Kritik.

Ein wirklich wichtiger Wunsch für die Zukunft?

Ich habe über reformierte Architekturtheorie geforscht. Die Reformation im 16. Jahrhundert kann auch als Plädoyer für das Umnutzen von Bestehendem und fürs Bauen im Bestand verstanden werden, beispielsweise bei Rudolf Hospinian (1587) und Heinrich Bullinger (1566). Sie sprachen natürlich über Kirchen und nicht über Profanbauten. Aber bereits sie gingen nicht mehr von einem Bauen auf der grünen Wiese oder einer Tabula rasa aus, sondern vom Nutzen von Bestehendem. Das hätte eigentlich für Profan- und für Prestigebauten bis heute Schule machen können. Aber irgendwie war das schon damals eher uncool und ist ja bis heute noch nicht wirklich sexy.

Von Beatrice Born