Portrait
Bild: Hans Rudolf Schneider
Hansruedi Marti, Leiter der Bauberatung und Architekt. Bild: Hans Rudolf Schneider

Es braucht den Blick für das Ganze

Während 42 Jahren war Hansruedi Marti als Bauberater in der Regionalgruppe Thun Kandertal Simmental Saanen (TKSS) tätig, die letzten sieben als deren Leiter. Er wollte, dass Projekte nicht verhindert werden, sondern dass die Bauberatenden Wege für gute Lösungen aufzeigen. Dass er in dieser langen Zeit auch Konflikten nicht aus dem Weg ging, wird im Gespräch mit dem vielseitig interessierten Frutiger Architekten deutlich.

Hansruedi Marti, wie wird der Heimatschutz heute in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Ehrlicherweise leider eher als Bauverhinderer. Das hat einen Zusammenhang damit, dass erfolgreiche Beratungen kaum an die Öffentlichkeit dringen. Wenn hingegen das letzte Instrument der Einsprache eingesetzt wird, dann spricht sich das meist rasch herum. Dies kommt aber vergleichsweise selten vor.

Wie kann diesem Image entgegengesteuert werden?

Die Frage bei der Beurteilung von Bauvorhaben war jeweils nicht, «ob» diese realisiert werden können, sondern «wie». Das heisst für mich, helfen und unterstützen statt verhindern. Mein Ziel und Motto war in all den Jahren, jeweils ästhetisch gute Lösungen zu suchen und Vorteile von solchen Anpassungen aufzuzeigen. Dass dabei dennoch die Wirtschaftlichkeit gegeben sein muss, ist für mich als Unternehmer ebenfalls klar.

Sie waren über 40 Jahre Bauberater. Wie hat sich deren Arbeit verändert – sind die Konflikte grösser geworden?

Zu Beginn meiner Zeit gab es die Bauinventare noch nicht. Wir prüften damals praktisch alle Bauvorhaben, bevor dann auf die Kategorie der «erhaltenswerten Bauten» fokussiert wurde. Auch das Raumplanungsgesetz ist streng, was für uns im Heimatschutz nicht nur negativ ist. Es gibt darin recht enge Vorgaben, was andererseits mich als Architekten wieder einengt. Dies gilt ja auch für die kommunalen Bauvorschriften, die immer strenger werden. Zudem stehen Bauherren schneller für ihre Ansichten mit Anwälten ein.

Das Gebiet Ihrer Regionalgruppe umfasst den städtischen Raum Thun, aber auch das ländliche Saanen und das Kandertal. Gibt es Unterschiede für den Heimatschutz?

Grundsätzlich gelten dieselben Gesetze und Richtlinien. In städtischen Gebieten ist die Bereitschaft tendenziell höher, Kritik und Argumente zu akzeptieren oder Ratschläge entgegenzunehmen. Auf dem Land heisst es schnell mal «die von Bern unten», obwohl das meist gar nicht stimmt. Die Bauberaterinnen und -berater stammen oftmals aus derselben Gegend wie die Bauherren.

Wie sind Sie selber damals zum Heimatschutz gekommen?

Als angehender Architekt an der HTL Biel machte ich eine detaillierte Arbeit über das bekannte Stuckihaus in Reichenbach. Das führte Anfang der 1980er-Jahre zu einer kurzzeitigen Teilzeitanstellung bei der kantonalen Denkmalpflege in Bern, wo ich vor allem Gebäudeaufnahmen für den Oberländer-Band der Serie «Die Bauernhäuser der Schweiz» machte. Im Nachdiplomstudium an der ETH Zürich habe ich zudem eine umfangreiche Arbeit über Chalets und deren Geschichte, Entwicklung, Typologie sowie Verbreitung in der ganzen Welt erstellt. Parallel dazu entstand mein eigenes Architekturbüro. Mit diesem fachlichen Hintergrund war die Anfrage des Heimatschutzes wohl naheliegend…

Gibt es rückblickend Misserfolge, die schmerzen?

(studiert) Eigentlich gut, dass mir nicht sofort etwa einfällt. Natürlich konnten wir uns aber nicht überall durchsetzen oder überzeugen. Ein Beispiel ist das Hotel Alpina in Gstaad, das 1995 gegen unseren Willen gesprengt und durch einen Neubau ersetzt wurde. Das ging damals bis vor Bundesgericht. Jüngeren Datums ist die «Blechbüchse» in Adelboden. Die Freizeit- und Sportarena hätte so 2010 eigentlich nie realisiert werden dürfen. Ausgerechnet in einem Dorf mit so guten Handwerkenden und Holzbauunternehmen, das gab lange und intensive Diskussionen. Positiv stimmt mich, dass auch einige Personen, die den Bau damals befürworteten,  ihn heute ähnlich kritisch beurteilen.

Erfolge im Sinne von Verbesserungen an Projekten gab es auch?

Viele kleine natürlich. Zum Beispiel die Schalterhalle des Historischen Bahnhofes in Frutigen, die beweist, dass man auch aus einer maroden Substanz mit Hartnäckigkeit und Fachwissen den Originalzustand wieder herstellen konnte – beides sind wichtige Eigenschaften im Heimatschutz.

Oder auch das Bauernhaus Jungen an Reinisch (Frutigen) – einer der schönsten Frutigtypen. Erfreulich ist, dass wir durch unseren Vorschlag mit der Zurückversetzung der Scheune eine für alle Beteiligten gute Lösung gefunden haben. Zusammenarbeit bringt uns alle weiter.

Einer der aktuellsten Erfolge ist das ehemalige Munitionsgebäude der RUAG Real Estate AG an der Uttigenstrasse in Thun. Statt einem Abbruch für einen Neubau oder der zwischenzeitlichen Aufstockung hat sich die Bauherrin nun auf den Erhalt und die Umnutzung festgelegt. Dies passt auch zu den benachbarten und teils sanierten Fabrikgebäuden und freut mich ungemein.

Die Schalterhalle des Historischen Bahnhofes in Frutigen – durch Hartnäckigkeit und Fachwissen wieder im Originalzustand. Bild: zvg/Marti
Zusammenarbeit bringt uns alle weiter. Das Bauernhaus Jungen an Reinisch (Frutigen) ist einer der schönsten Frutigtypen. Bild: zvg/Marti

Sie haben ja solche Bemühungen nicht allein erzielt, Bauberatung ist durchaus Teamarbeit… 

Ich schätzte in all den Jahren den Austausch unter Fachleuten sehr. Die Beurteilungen sind immer auch subjektiv geprägt, wir sind selten einer Meinung. Aber Argumente können überzeugen. Zudem nutzte ich die Treffen meines Bauberatendenteams jeweils für kurze interne Weiterbildungen. Ich gab den oftmals jüngeren Leuten Aufgaben, zeigte Bauvorhaben und liess sie eigene Lösungen ausarbeiten oder die realisierten Projekte diskutieren. Dieser andere Blick auf Dasselbe ist enorm wichtig, bereichernd und herausfordernd.

Heimatschutz umfasst den Begriff Heimat. Was bedeutet Ihnen dieser persönlich in diesem Zusammenhang?

Es geht nicht nur um einzelne Gebäude, um Proportionen, um Materialien. Es geht um das Dorf oder das Tal, es braucht den Blick für das Ganze. Der Eindruck oder die Charakteristik muss stimmen und wenn vorhanden, auch erhalten bleiben. Um Verunstaltungen zu verhindern, lohnt sich unser Einsatz.

Sie haben all die Jahre nicht nur im Gebiet Ihrer Regionalgruppe als Architekt gearbeitet –machen das heute noch. Hand aufs Herz: Wie oft hat der Heimatschutz gegen Projekte aus ihrem Büro interveniert?

Niemals, das kann ich guten Gewissens sagen. Sonst hätte ich meine Arbeit als Bauberater sicher aufgegeben.

Interview: Hans Rudolf Schneider

ZUR PERSON

Hansruedi Marti (67) ist Architekt HTL/SIA (Biel) mit zweijährigem Nachdiplomstudium an der ETH Zürich. Neben der Arbeit in seinem eigenen Architekturbüro in Frutigen engagierte er sich in verschiedenen nebenamtlichen Lehrtätigkeiten, als Prüfungs-Experte der Zeichner und bei Diplomen BSc Architektur Fachhochschule Burgdorf und war Mitglied bei der SIA im Vorstand der Sektion Bern. Als Bauberater für den Heimatschutz war er von 1981 bis 2023 tätig, davon seit 2016 als Leiter der Bauberatung der Regionalgruppe Thun Kandertal Simmental Saanen.