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Die Triebwagen der Nachkriegszeit unserer Tourismusbahnen müssen weiterfahren!

Triebwagen sind nicht so spektakulär anzusehen wie Dampflokomotiven. Für die Technikgeschichte sind sie aber von höchster Bedeutung, denn sie repräsentieren die aufs Minimum reduzierte, nachhaltig konstruierte und robuste Elektromechanik der Tourismusbahnen des letzten Jahrhunderts.

Historische Fahrzeuge sind bewegliche Erinnerungsorte, sind Heimat

Von historischen Transportmitteln fühlen sich sehr viel Menschen angesprochen. Dampfbahnen, Raddampfer (Dampfschifffe) oder Tram-Oldtimer sind bewegliche Erinnerungsorte und machen Freude. Das lässt sich gut an einer schlichten Zugskomposition der Tourismusbahnen der 1950er-Jahre illustrieren: Mehrere Generationen von Ausflügler/-innen und Einheimischen der Jungfrauregion erinnern sich daran, wie sie ihre Skis auf den offenen Skiwagen der Wengeneralpbahn (WAB) verstauten, mit Schwung von Hand die Wagentüren der Trieb- oder Steuerwagen öffneten und sich voller Vorfreude auf das Schneeerlebnis auf den Holzbänken einrichteten. Die beschlagenen Scheiben versah man mit allerlei Kritzeleien. Man konnte den Zahnrädern zuhören, wie sie für einen sicheren Transport sorgten. Glück oder Pech – je nach Wetterlage – hatte, wer direkt über dem Heizkörper zu sitzen kam. Für sie alle stellen die historischen Fahrzeuge der WAB ein Stück wertvolle Heimat dar, die es zu erhalten gilt.

Dringliches Handeln notwendig statt uninteressiertes Wegschauen

Während mehr als 70 Jahren prägten die Triebwagen das Bild der Wengeneralpbahn (WAB), der längsten reinen Zahnradbahn Europas. Noch sind sie auf der Strecke Grindelwald–Kleine Scheidegg anzutreffen, einige der pionierhaften Triebwagen BDhe 4/4 der Serie 101–118 der WAB. Für den gelegentlichen Einsatz als Dienstfahrzeuge, für den Gütertransport und als Ersatzfahrzeuge. Ähnlich geht es ihren Pendants bei der Berner Oberland Bahn (BOB), der Bergbahn Lauterbrunnen Mürren (BLM) und der Jungfraubahn (JB). Doch ihr Schicksal ist unklar. Die Gefahr besteht, dass sie alle für immer verloren gehen, da sich die Jungfraubahnen als Eigentümerin für deren Erhalt nicht interessiert, weil sie darin keinen Nutzen sieht. Einige wurden bereits verschrottet, ein Teil nach Rumänien abgegeben.

Dass eine Bahngesellschaft neues Rollmaterial braucht, ist unbestritten. Moderne Züge bieten mehr Komfort, sie entsprechen mit barrierefreier Ausstattung den heutigen Anforderungen der Gesellschaft und befördern mehr Gäste. Parallel läuft jedoch die Veränderung in den Depots, das Ausmustern der alten Fahrzeuge und das Schrumpfen der Rollmateriallisten für die Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ab. Und das will der Berner Heimatschutz ändern und genau hinschauen, auch gegen alle Widerstände.

Epochale Bedeutung für den modernen Tourismus im Berner Oberland

Die Triebwagen der 1950er-Jahre trugen über Jahrzehnte massgeblich zum grossen Erfolg der Tourismusdestination Jungfrauregion bei.

Viel weniger als bei Autos der Nachkriegszeit wird das stattliche Alter dieser Fahrzeuge sofort augenscheinlich. Möglicherweise ist die zeitlose Gestaltung auf die klar aus den technischen Notwendigkeiten abgeleitete einfachste Formgebung zurückzuführen. Durch diese Schlichtheit ist auch die Wahrnehmbarkeit als historische Objekte geringer als etwa bei Dampflokomotiven oder Dampfschiffen.

Nichtsdestoweniger ist die tourismus- und technikgeschichtliche Bedeutung der Einführung der Triebwagen bei unseren Bergbahnen epochemachend. Die Triebwagen läuteten eine frappante Steigerung der Kapazitäten ein, vergleichbar mit dem Entwicklungssprung rund 40 Jahre früher, als die Dampftraktion durch elektrische Lokomotiven abgelöst wurden.

Innovativ war die Rekuperationsbremse, die es bei Talfahrt erlaubte, bis zu 40% der bei der Bergfahrt benötigten Energie zurückzugewinnen. Neu konnten direkt im Triebfahrzeug Personen transportiert werden. Die Bauweise mit zwei Drehgestellen erlaubte eine gute Kurvengängigkeit und höhere Geschwindigkeiten. Erstmals wurde bei den BOB- und WAB-Triebwagen die Kraft über vier Triebzahnräder auf die Zahnstange übertragen, statt wie bis anhin über eines oder zwei. Bei den WAB-Triebwagen wurde schon bald die Fernsteuerung ab Steuerwagen eingeführt, die stets bergseitig des Zuges eingereiht waren.

Gerade Zahnradbahnen wie die WAB standen in Wintersportgebieten zusehends in Konkurrenz zu modernen Luftseilbahnen. Mit der Einführung der Triebwagen konnten die WAB jedoch weitere 50 Jahre den Anforderungen des modernen Tourismus genügen, der nun breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich wurde.

Gesetzliche Grundlage für den Erhalt von mobilem Kulturgut ist vorhanden

Für den Umgang mit historischem Rollmaterial der Bahnen gelten weniger griffige Gesetze als für Gebäude. Für den Erhalt und damit die Wertschätzung von mobilem Kulturgut muss die Eigentümerin Verantwortung zeigen. Bahnen, die aufgrund einer vom Bund erteilten Konzession tätig sind, erfüllen eine Bundesaufgabe. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, schonend und im Prinzip erhaltend mit wertvollem Kulturgut umzugehen. Das ergibt sich aus dem eidgenössischen Natur- und Heimatschutzgesetzes (Artikel 3). «(…) doch scheint sich in der Praxis bisher noch keine systematische Vorgehensweise etabliert zu haben (…)», so Tim Hellstern in «Bau Kultur Erbe» über historische Trams und Busse (2022). In einem Graubereich bewegen sich Privatbahnen, die auch einen öffentlichen Transportauftrag erfüllen.

Gute Beispiele für den Erhalt von historisch wertvollem Rollmaterial

Es gibt Bahngesellschaften, die erfolgreich einzelne historische Fahrzeugeim Alltagsbetrieb einsetzen, so die Rhätische Bahn (RhB). Anders als die Jungfraubahnen kümmert sich die RhB um ihre alten Fahrzeuge. Bereits vor 10 Jahren wird dies von der kantonalen Denkmalpflege in ihrer Schrift «Denkmalpflegerische Würdigung und Wertung der historischen Fahrzeuge der RhB» (2013) dokumentiert und aufgezeigt. Sieben Vereine und eine Stiftung bilden dabei die «Historic RhB».

Im Kanton Bern zeigen die «BLS Stiftung» und im städtischen Rahmen die Stiftung «Bernmobil historique», dass historisches Rollmaterial gepflegt, erfolgreich weiter am Rollen gehalten werden kann und dabei ein begeistertes Publikum findet. Die Stiftungen schaffen durch die langfristige Zweckbindung Vertrauen bei der Beschaffung von privaten und öffentlichen Mitteln, sind aber auch eine gute Plattform für den Erhalt von Fachwissen und den Einbezug von Fachpersonen.

Chance im Berner Oberland nutzen

Es ist eine verpasste Chance, dass sich die Jungfraubahnen – also die WAB, JB und BLM – und die BOB bisher nicht an diesen erfolgreichen Konzepten und Modellen orientieren, den Dialog mit den Zuständigen für Denkmalpflege sowie privaten Bahnbegeisterten suchen, deren Mitarbeit annehmen. Und somit für die Zukunft, einen sorgfältigen Umgang mit ihrem höchst wertvollen historischen Fahrzeugpark ermöglichen würden. Der emeritierte Prof. Dr. Enrico Riva sagt: «Eine Ironie liegt für mich darin, dass die Jungfraubahnen zu den wenigen im Bahnbetrieb tätigen Gesellschaften gehören, die ständig Gewinne erzielen und also über finanziellen Spielraum verfügen.»

Auch wenn sich heute Bergbahnen in einem schwierigeren Umfeld bewegen; ein Innehalten und ein sorgfältiger Blick auf das historische Erbe sind in verschiedener Hinsicht aufschlussreich und notwendig.

Edith Biedermann und Simon Weiss

Literatur

Bärtschi, H.-P. (2013). Denkmalpflegerische Würdigung und Wertung der historischen Fahrzeuge der RhB. Winterthur: ARIAS Industriekultur.

Hellstern, T. & Balsiger, K. (2022). Rollendes Kulturgut. In Bau Kultur Erbe (S. 104–111).

Jossi, U. & Ganzoni P. (2022). Das Ende einer Ära: Die BDhe 4/4 101–118 der WAB. Semaphor – Klassiker der Eisenbahnen, 74, 3–18.

Riva, E. (2013). Mobiles Kulturgut – Welchen Schutz bietet das geltende Denkmalpflegerecht? (Vortrag). In Nationale Informationsstelle für Kulturgüter-Erhaltung (NIKE), Weiterbildung (Hrsg.), Kulturgut in Bewegung. Über Ortsgebundenheit und Ortswechsel (S. 20–25). Basel: Schwabe Verlag.

Zeitung

Lauper, G. (2022, 15. Dezember). Heimatschutz und Bahn sind uneins. Berner Oberländer, S. 1 und 6.

Internet

BAK – Bundesamt für Kultur. (2011). Schweizer Seilbahninventar

BLS-Stiftung. (2022). Das historische Erbe der BLS

historique RhB. (2018). RhB historique – Die Bündner Kulturbahn

Stiftung BERNMOBIL historique. (2022)

HECH – Historische Eisenbahnen der Schweiz. (2020). Inventar des historisch wertvollen Rollmaterials der Eisenbahnen der Schweiz

Jungfraubahn

Jungfraubahn. (2023). Rollmaterialverzeichnis Wengernalpbahn WAB (Stand: Januar 2023).

Fotos

Matthias Pichler

Peter Hürzeler

Sandro Gadola