Engagement

Der Heimatschutz in Mitholz – einst und jetzt

Seit 2018 ist das Explosionsunglück von 1947 in Mitholz wieder im Bewusstsein der Schweiz. Bei der geplanten Räumung der explosiven Altlasten aus dem Munitionsmagazin sind auch Familien betroffen, die damals mit Unterstützung des Berner Heimatschutz ein neues Heim erhielten.
Das Alpine Museum der Schweiz zeigt die Ausstellung «Heimat. Auf Spurensuche in Mitholz»

2,5 Milliarden Franken beantragt das VBS dem Parlament, um Mitholz von den Munitionsresten zu räumen. Es ist ein gewaltiges Unterfangen, das inklusive Planung über 20 Jahre dauern wird. Das VBS ist jedoch gewillt, was nach der Explosion am 19. Dezember 1947 an Explosivstoffen zurückgelassen wurde, unschädlich zu machen. Das Risiko von Umweltschäden und erneuten Explosionen soll minimiert werden.

Gut 50 Personen müssen ihre Heimat Mitholz aber verlassen, ihre Liegenschaften liegen im Nahbereich des explodierten Munitionsmagazins. Dazu gehören auch Einwohnerinnen und Einwohner, denen nach 1947 mit Hilfe des Heimatschutzes anstelle der zerstörten «Heimetli» neue und zeitgemässe Wohnhäuser im Dorf erstellt wurden. (Bild 1)

Eine Hilfswelle in der Schweiz

Die Hilfsbereitschaft damals war gross. Die ganze Schweiz half. Pfarrer Karl von Greyerz aus Kandergrund schrieb darüber: «Schon am Tage nach der Katastrophe trafen aus der Nähe und Ferne, besonders von Zürich, Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Geldbeiträge ein, und von Woche zu Woche schwoll der Strom der Liebesgaben immer höher an.» Die Glückskette überbrachte einen Scheck von 80’000 Franken. Bundesrat Kobelt mit seinen Chefbeamten, eine Delegation der Berner Regierung mit Regierungspräsident Feldmann, Finanzdirektor Siegenthaler und Baudrektor Grimm, General Guisan und Oberstbrigadier Bühler in Begleitung machten sich persönlich ein Bild der Lage. Militäreinheiten stellten für die Obdachlosen Baracken auf, räumten den Schutt von den Strassen und Matten, vernichteten mehrere Tausend Blindgänger. (Bilder 2, 3, 4)

Der Heimatschutz übernimmt

Anfang Februar 1948 wurden erste Besprechungen mit der Heimatschutzkommisson durchgeführt. Das Ziel war eine «einheitliche Gestaltung des neu zu erstellenden Dorfes». In einer Aktennotiz des kantonalen Baudirektors dazu ist festgehalten: «Es kann sich nicht darum handeln, Vorschriften über den Wiederaufbau zu erstellen, sondern lediglich, den Bauenden mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.» Mitholz müsse schöner auferstehen, als es gewesen sei.

Der Berner Heimatschutz übernahm letztlich die Kosten für die Projektierung der neuen Wohnhäuser. Edgar Schweizer, Bauberater des Heimatschutzes, zeichnete die Projektpläne für den Wiederaufbau. Gottfried Künzi, Abraham Bärtschi und Hans Allenbach, drei Zimmerleute aus dem Frutigtal, führten die meisten Arbeiten aus. Im Protokoll über den Jahresbott 1948 des Heimatschutzes steht: «Wiederaufbau Mitholz: Unter der Leitung von Hrn. Architekt Edgar Schweizer in Thun. Die Sache verspricht unter seiner Leitung gut zu werden und wir haben eine Summe von Fr. 15'000.- aus der Taleraktion 1947 dafür reserviert.» Dieser Betrag entspricht einem heutigen Geldwert von mindestens 75'000 Franken. Nur ein Jahr dauerte der Wiederaufbau. (Bild 5)

Rasche Arbeit und Hilfe

Die ersten Bauprojekte werden bereits im März 1948 abgeliefert. Es gibt gewisse Vorgaben bezüglich Raumhöhen und Fensterflächen. Zudem wird der Abort nicht wie früher über eine offene Laube zugänglich gemacht, sondern  grundsätzlich ins Innere des Hauses verlegt. Weiter wird der spätere Einbau eines «Badraumes» vorgesehen. Auf eine gute Besonnung der Wohn- und Schlafräume wird die Bevölkerung besonders aufmerksam gemacht.

Auch werden jetzt die Ställe nicht mehr unter den Wohn- und Schlafräumen angeordnet, sondern mit den Heubühnen unter demselben Dachteil untergebracht. Die von den Bauherren frei wählbaren Unternehmer arbeiten rasch ihre Kostenvoranschläge aus. Die Bauart wird unter Verwendung der technischen Fortschritte im Bau der überlieferten Konstruktion des Tales angepasst. So stattet man die meisten der Bauten mit Schindelunterzügen, Doppelfalzziegeldächern und Doppelverglasungsfenstern aus, das Wasser wird überall im Haus installiert. Je nach Ausbau bewegt sich der Preis pro Kubikmeter Raum zwischen 80 und 100 Franken. Nur das neue Wirtshaus, das einen etwas reicheren Ausbau mit teuren sanitären Installationen und einer Zentralheizung erhält, wird teurer. (Bilder 6, 7)

Nur kleine Verbesserungen

In der Schweizerischen Bauzeitung vom April 1949 wird eine erste Bilanz der Aktion gezogen. Der Heimatschutz wollte zwei Ziele erreichen: Einerseits der in Baracken hausenden Bevölkerung rasch helfen und andererseits ein möglichst einheitliches Dorfbild erhalten. Ferner war gewünscht, die Siedlung nach neuen Gesichtspunkten der Dorfplanung zu gestalten. Dies erweist sich aber in der kurzen Zeit, die für den Wiederaufbau zur Verfügung steht, als unmöglich. «Nur ganz kleine Verbesserungen konnten erzielt werden», heisst es weiter.

Zur Erinnerung an das Unglück und an den Wiederaufbau gedenkt der Berner Heimatschutz, Mitholz einen Dorfplatz mit einem heimeligen Dorfbrunnen zu stiften. Bis Ende 1948 waren von den 21 zerstörten Häusern 15 unter Dach, wovon 13 schon bewohnt sind. Weitere sechs Häuser sind projektiert. Von den sechs restlichen Häusern würden voraussichtlich fünf im Frühjahr 1949 begonnen, heisst es in der Bauzeitung. (Bild 8)

Die Jahrzahl 1948

Man erkennt die neuen Gebäude an der in der Giebelfassade eingekerbten Jahreszahl 1948. In den Inschriften wird zudem der Katastrophe gedacht. An einem Haus wird der Heimatschutz direkt erwähnt: «Nach unvergessner Schreckensnacht sind wieder wir zum Licht erwacht. Lass leuchten uns o Herr dein Licht, dass wir im Dunkeln irren nicht.» Darunter: «Erbaut von Christian und Albert Künzi und dessen Ehefrau Rosa Trachsel u. Kinder unter Mitwirkung des Berner Heimatschutzes». (Bild 9)

Derzeit klärt sich die Situation, wer definitiv wegziehen muss und wer aufgrund der zu erwartenden Bauarbeiten weg will. Mehrere Sonderbauzonen wurden in der Gemeinde Kandergrund ausgeschieden, die speziell für Neubauten von Mitholzern reserviert sind. Hansruedi Marti, der Bauberater-Obmann der Regionalgruppe Thun Kandertal Simmental Saanen, koordiniert die Bedürfnisse der Betroffenen mit den möglichen Angeboten in diesen Zonen. «Eine Handvoll der damals erstellten Wohnhäuser sollen projektbedingt abgebrochen werden. Etliche andere werden vom VBS gekauft, die Vorbesitzer haben aber ein Vorkaufsrecht für die Zeit nach Abschluss der Räumung», erklärt er. Dennoch ist Bedarf für gut ein Dutzend neue Wohnhäuser gegeben. Zurzeit sieht es danach aus, dass acht Liegenschaftsbesitzer wieder in der Gemeinde Kandergrund bauen werden, die anderen werden dies in den umliegenden Gemeinden tun. «Es könnte sogar sein, dass eines der bestehenden Gebäude an einen neuen ungefährdeten Standort gezügelt wird. Das ist in Diskussion», sagt Marti. Er würde sich darüber freuen.

Von Hans Rudolf Schneider

Quellen:

Schreckensnacht von Mitholz. Die Geschichte rund um eine geheime unterirdische Militäranlage. Hans Rudolf Schneider. 2018. Verlag HS-Publikationen

Text im Jahresheft der Heimatschutz-Regionalgruppe Thun Kandertal Simmental Saanen (2015) von Hansruedi Marti.

Diverse Akten und Bilder aus dem Bundes- und Berner Staatsarchiv

Das Unglück 1947

Drei Explosionen erschütterten in der Nacht vom 19. Dezember auf den 20. Dezember 1947 das Dörfchen Mitholz. Die Munition im während des Aktivdienstes erbauten Magazins in der Fluh explodierte, Granaten, Bomben und Felsbrocken flogen durchs Tal. Die traurige Bilanz: Neun Todesopfer und viele zerstörte und beschädigte Häuser. Die genaue Ursache der Explosion konnte nie hieb- und stichfest belegt werden. Untersuchungen liessen darauf schliessen, dass sich auf Granatenzündern Kupferazid gebildet hatte. Dieses ist äusserst empfindlich: Ein leichter Hammerschlag genügt, um eine Detonation auszulösen. Die gefährlichen Munitionsreste – von den eingelagerten 7000 Bruttotonnen sollen etwa 3000 nicht explodiert sein – wurden so gut es damals ging, geräumt. Die Armee baute die Anlage später mehrfach aus und um, bis 2018 Alarm gegeben wurde: Neue Abklärungen für ein geheimes Rechenzentrum hatten ergeben, dass Risikogrenzwerte überschritten sind – eine komplette Räumung ist seither in Planung. (Bild 10)

Ausstellung

Das Alpine Museum der Schweiz in Bern hat das Thema Mitholz in der bis Mitte 2024 dauernden Ausstellung aufgenommen. Es geht unter anderem der Frage nach, was den Begriff «Heimat» ausmacht und wie wir damit umgehen. Erinnerung, Risiko und Verantwortung sind weitere Stichworte des Inhalts. Auslöser dazu ist, dass etliche Mitholzerinnnen und Mitholzer ihre Heimat verlassen müssen. Die Ausstellung umfasst etliche begleitende Anlässe.